Das Wort Bin Ich

Die Klagelieder Jeremias

Volksbibel 2000 :: Allioli - Arndt Bibel

- Kapitel 3 -

Die Angst und die Hoffnung des Propheten

1
Ich bin es, der Elend erfahren, durch seines Grimmes Rute.
2
Mich hat er gedrängt und getrieben ins lichtlose Dunkel.
3
Gegen mich kehrt er immer aufs neue allzeit seine Hand.
4
Mein Fleisch, meine Haut ließ er welken, zerschlug mein Gebein.
5
Er baute und häufte um mich giftige Mühsal.
6
In Finsternis hüllte er mich wie die Toten der Urzeit.
7
Er zäunte mich ein, unentrinnbar, machte schwer meine Ketten.
8
Ob ich auch schreie und rufe, er hört nicht mein Flehen.
9
Er vermauerte meine Wege mit Quadern, riß auf meine Pfade.
10
Er war mir ein lauernder Bär, im Versteck ein Löwe.
11
Er zog mich vom Weg ab, zerriß mich. Er ließ mich verschmachten.
12
Er spannte den Bogen, stellte mich hin als Ziel seiner Pfeile.
13
Er hat mir die Nieren durchschossen mit den Pfeilen seines Köchers.
14
Ich ward meinem ganzen Volk zum Hohn, ihr täglicher Spott.
15
Mit Bitternis machte er mich satt; gab mir Wermut zu trinken.
16
Auf Kiesel ließ er meine Zähne beißen, gab Asche mir als Speise.
17
Meiner Seele nahmst du den Frieden; was Glück ist, vergaß ich.
18
Ich sprach: "Dahin ist mein Leben, mein Hoffen zum Herrn."
19
Gedenke meines Elends, meiner Unrast, des bitteren Wermuts!
20
Durch vieles Grübeln gebeugt ist in mir meine Seele.
21
Dies will ich bedenken bei mir, daraus Hoffnung zu schöpfen:
22
Daß wir nicht ganz vernichtet, ist Huld des Herrn; unerschöpflich ist sein Erbarmen.
23
Neu ist es an jedem Morgen, gar groß seine Treue.
24
Ich spreche: "Der Herr ist mein Anteil; darum hoffe ich auf ihn."
25
Der Herr ist gütig dem, der seiner harrt, der Seele, die ihn sucht.
26
Gut ist es, schweigend zu harren der Hilfe des Herrn.
27
Gut ist es für jeden, zu tragen von jung an sein Joch.
28
Er sitze einsam und schweige, wenn er es ihm verhängt!
29
Er beuge zum Staub seinen Mund; vielleicht ist noch Hoffnung!
30
Er biete dem, der ihn schlägt, die Wange; esse satt sich an Schmach!
31
Denn nicht auf ewig verstößt der Herr.
32
Hat er Trübsal verhängt: In der Größe seiner Huld erbarmt er sich wieder;
33
denn nicht aus Lust beugt er nieder, betrübt er die Menschen.
34
Daß man mit Füßen getreten alle Gefangenen des Landes,
35
daß man beugte das Recht eines Menschen vor den Augen des Höchsten,
36
daß man jemand vor Gericht unterdrückte: Sieht das der Herr nicht?
37
Wer ist es, der befahl und es ward, wenn es der Herr nicht geboten?
38
Kommt nicht durch des Höchsten Befehl Unglück und Glück?
39
Was klagt denn ein Mensch, der noch lebt, ob seiner Strafen ein Mann?
40
Unseren Wandel laßt uns prüfen, erforschen, zum Herrn uns bekehren!
41
Herz und Hände laßt uns erheben zu Gott im Himmel!
42
Wir haben gefehlt, uns empört; da vergabst du uns nicht.
43
Du hast in Zorn dich gehüllt, uns verfolgt, ohne Schonung gemordet;
44
hast dich eingehüllt in Gewölk, daß kein Flehen mehr hindurchdrang;
45
ließest uns werden zu Kehricht und Auswurf inmitten der Völker.
46
Den Mund rissen gegen uns auf all unsere Feinde.
47
Zuteil ward uns Grauen und Grube, Vernichtung, Verderben.
48
Bäche Wassers läßt strömen mein Auge ob des Falls der Tochter meines Volkes.
49
In Tränen fließt ruhelos ohne Unterlaß mein Auge,
50
bis vom Himmel niederblickt und herabschaut der Herr.
51
Mein Auge tut weh meiner Seele ob aller Töchter meiner Stadt.
52
Es jagten mich gleich einem Vogel, die ohne Grund mir feind.
53
Sie versenkten in die Grube mein Leben, warfen Steine auf mich.
54
Wasser bedeckte mein Haupt; ich dachte: "Ich bin verloren."
55
Da rief ich, Herr, aus der Tiefe der Grube deinen Namen.
56
Du hörtest mein Rufen: "Verschließe meinem Wehruf nicht dein Ohr!"
57
Du warst mir nah, da ich dich rief, sprachst: "Fürchte dich nicht!"
58
Du führtest, o Herr, meine Sache, erlöstest mein Leben.
59
Du sahst ja, o Herr, meine Unbill; schaffe mir Recht!
60
Du sahst ihre ganze Rachgier, all ihr Planen gegen mich.
61
Du hörtest ihr Schmähen, o Herr, all ihr Planen gegen mich.
62
Meiner Gegner Reden und Ränke ist gegen mich allezeit.
63
Ihr Sitzen und Aufstehen schau an: Ich bin ihr Spottlied.
64
Herr, du wirst ihnen vergelten nach dem Werk ihrer Hände.
65
Du wirst ihre Herzen verblenden; dein Fluch über sie!
66
Du wirst im Zorn sie verfolgen, vertilgen unter dem Himmel, o Herr.

Die Angst und die Hoffnung des Propheten

1
[Aleph.] Ich bin der Mann, der sein Elend sah unter seines Grimmes Rute.
2
[Aleph.] Mich drängte er und führte mich in Finsternis und nicht zum Lichte.
3
[Aleph.] Nur wider mich wendet er immer aufs neue seine Hand den ganzen Tag.
4
[Beth.] Er machte meine Haut und mein Fleisch altern, zermalmte mein Gebein.
5
[Beth.] Ringsum umbaute er mich und umgab mich mit Galle und Mühsal.
6
[Beth.] Er versetzte mich in Finsternis, gleich den auf ewig Toten.
7
[Ghimel.] Ringsum hat er mich ummauert, dass ich nicht entkommen kann; er hat meine Fesseln schwer gemacht.
8
[Ghimel.] Wenn ich auch rufe und bitte, er weist mein Gebet ab.
9
[Ghimel.] Er hat meine Wege mit Quadersteinen versperrt, meine Pfade verstört.
10
[Daleth.] Ein lauernder Bär ist er mir geworden, ein Löwe im Hinterhalt.
11
[Daleth.] Er hat meine Pfade in die Irre geleitet und mich zermalmt, hat mich trostlos gemacht.
12
[Daleth.] Er hat seinen Bogen gespannt und mich als Ziel für den Pfeil ausgestellt.
13
[He.] Er ließ in meine Nieren seines Köchers Töchter dringen.
14
[He.] Ich ward zum Gespött für mein ganzes Volk, ihr Spottlied den ganzen Tag.
15
[He.] Er sättigte mich mit Bitterkeiten und tränkte mich mit Wermut.
16
[Vau.] Er zerbrach mir die Zähne der Reihe nach, speiste mich mit Asche.
17
[Vau.] Verstoßen ist aus dem Frieden meine Seele, vergessen habe ich des Glückes.
18
[Vau.] Da sprach ich: Verloren ist mein Ziel, dahin meine Hoffnung auf den Herrn!
19
[Zain.] Gedenke meines Elends und meiner Verlassenheit, des Wermuts und der Galle!
20
[Zain.] Immer denke ich daran und meine Seele schmachtet in mir hin.
21
[Zain.] Dies will ich in meinem Herzen überdenken und daraufhin will ich hoffen.
22
[Heth.] Gnadenerweisungen des Herrn sind es, dass wir nicht ganz vernichtet sind, denn seine Erbarmungen bleiben nicht aus.
23
[Heth.] Neu sind sie an jedem Morgen, groß ist deine Treue.
24
[Heth.] Der Herr ist mein Anteil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen.
25
[Teth.] Gütig ist der Herr gegen die, die auf ihn hoffen, gegen die Seele, welche ihn sucht.
26
[Teth.] Gut ist es, schweigend auf die Hilfe Gottes zu harren.
27
[Teth.] Gut ist es einem Manne, wenn er das Joch von seiner Jugend an trägt.
28
[Jod.] Er wird einsam sitzen und schweigen, denn es ist ihm auferlegt.
29
[Jod.] Er berühre mit seinem Munde den Staub, vielleicht ist noch Hoffnung!
30
[Jod.] Er biete seine Wange dem dar, der ihn schlägt, werde ersättigt mit Schmach.
31
[Kaph.] Den nicht auf ewig verstößt der Herr.
32
[Kaph.] Denn wenn er auch verstieß, so erbarmt er sich doch nach der Fülle seiner Gnaden.
33
[Kaph.] Denn nicht aus Lust beugt er nieder und verstößt er die Menschenkinder,
34
[Lamed.] wie man unter seine Füße alle Gefangenen der Erde tritt,
35
[Lamed.] wie man das Recht eines Mannes beugt vor dem Angesichte des Allerhöchsten
36
[Lamed.] und eines Menschen Sache verkehrt, solches kennt der Herr nicht.
37
[Mem.] Wer ist es, der je sprach, dass etwas geschehen solle, ohne dass der Herr es geboten?
38
[Mem.] Geht nicht aus dem Munde des Allerhöchsten das Üble und das Gute hervor?
39
[Mem.] Was klagt also ein Mensch, so lange er lebt, ein jeder über seine Sünden?
40
[Nun.] Lasset uns unsern Wandel prüfen und erforschen und zu dem Herrn umkehren!
41
[Nun.] Lasset uns unsere Herzen und unsere Hände erheben zu dem Herrn im Himmel!
42
[Nun.] Wir haben gesündigt und zum Zorne gereizt, darum bist du unerbittlich.
43
[Samech.] Du hast dich in Grimm verhüllt und uns geschlagen, getötet ohne Schonung.
44
[Samech.] Du hast dich mit einer Wolke umhüllt, damit kein Gebet hindurchdringe.
45
[Samech.] Zu Kehricht und Auswurf hast du mich gemacht in Mitte der Völker.
46
[Phe.] Es sperren gegen uns ihren Mund auf alle Feinde.
47
[Phe.] Schrecken und Schlinge ward uns Weissagung und Verderben.
48
[Phe.] Wasserbäche vergießen meine Augen über das Verderben der Tochter meines Volkes.
49
[Ain.] mein Auge ist betrübt und hört nicht auf zu weinen, weil keine Linderung eintritt,
50
[Ain.] Bis der Herr vom Himmel herabschaut und dareinsieht.
51
[Ain.] Mein Auge hat mir die Seele genommen ob aller Töchter meiner Stadt.
52
[Sade.] Es machten Jagd auf ich und fingen mich wie einen Vogel die, welche meine Feinde ohne Ursache waren.
53
[Sade.] In die Grube ward mein Leben versenkt, sie wälzten einen Stein über mich.
54
[Sade.] Es strömten die Wasser über mein Haupt zusammen, ich sprach: Ich bin verloren!
55
[Koph.] Ich rief deinen Namen an, o Herr! aus tiefster Grube.
56
[Koph.] Du hörtest mein Rufen: O wende dein Ohr nicht ab von meinem Seufzen und von meinem Klagen!
57
[Koph.] Du warst mir nahe am Tage, da ich dich anrief; du sprachst: Fürchte dich nicht!
58
[Resch.] Du führtest, Herr! die Sache meiner Seele, Erlöser meines Lebens!
59
[Resch.] Du hast gesehen, Herr! wie sie mir Unrecht taten; schaffe mir Recht!
60
[Resch.] Du hast all ihren Grimm gesehen, all ihre Anschläge wider mich,
61
[Sin.] Du hast ihr Schmähen gehört, o Herr, alle ihre Anschläge wider mich,
62
[Sin.] die Reden meiner Widersacher und ihr Trachten wider mich den ganzen Tag.
63
[Sin.] Sie mögen sitzen oder aufstehen, siehe, so bin ich ihr Spottlied.
64
[Thau.] Vergilt ihnen, Herr! nach den Werken ihrer Hände.
65
[Thau.] Gib wie einen Schild um ihr Herz Bedrängnis von dir.
66
[Thau.] Verfolge sie mit Grimm und tilge sie hinweg unter dem Himmel, o Herr!